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Wer Mitglied der „Weißen Geister“
werden wollte, musste eine Mutprobe bestehen. An einem grauen, kalten
Novembertag waren Lisi und Dominic dran. „Ihr schleicht heute Nacht auf
den Dachboden der verlassenen Villa!“, verkündete Hannes, der Anführer
der „Weißen Geister“. Hannes musste keine Mutprobe machen, der dachte
sie sich nur aus. „Als Beweis, dass ihr nicht gleich wieder abgehauen
seid, fotografiert ihr durchs Dachfenster die Turmuhr, um zehn und um
Mitternacht.“ – „Da soll es spuken“, sagte Lisi. Hannes grinste.
„Hab ich auch gehört. Also bringt irgendwas Unheimliches mit, ein
Stück Gespensterkleid, einen Totenkopf, eine rostige Kette. Irgend so
was. Klar?“ |
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"Hannes ist ein Mistkerl!“, flüsterte
Lisi, als sie mit Dominic um halb zehn vor dem rostigen Gartentor der
Villa stand. Das Tor quietschte abscheulich. Die Haustür war natürlich
zu, also kletterten sie durch ein zerbrochenes Fenster. Seite an Seite
schlichen sie durch das stockdunkle Haus, bis sie endlich vor der steilen
Treppe standen, die zum Dachboden hinauf führte. „Oh Gott“, hauchte
Lisi. „Ich glaub, da oben jammert was!“ – „Quatsch, das ist bloß
die morsche Treppe“, behauptete Dominic. Aber als sie oben vor der
Dachbodentür standen, hörte er es auch. Ein leises Jammern „Lass uns
abhauen!“, rief Lisi hinter ihm „Nein!“ Dominic zog eine Dose aus
seiner Jackentasche. „Außerdem habe ich einen Pfefferspray bei mir.“
„Der hilft doch nicht gegen Gespenster!“, sagte Lisi. Doch da hatte
Dominic die Tür schon aufgemacht. Grelles Licht blendete sie. Ein eisiger
Luftzug sog sie durch die Tür wie ein Staubsauger, ließ sie wie Blätter
durch die Luft wirbeln und warf sie hart auf den Boden. Das Ganze ging so
schnell, dass die zwei nicht einmal zum Schreien kamen. Ganz verwirrt
saßen sie da, die Gesichter voll klebriger Spinnweben und blinzelten in
das blaue Licht, das den gesamten Dachboden erleuchtete.
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Es kam von einem dicken, fast
durchsichtigen Mann, der wie ein Riesenluftballon in der Mitte des Raumes
hing und verzweifelt seinen linken Fuß schüttelte. Am großen Zeh
klemmte eine Mausefalle. „Zer-plaaaatzen werde ich!“, rief der Geist.
„Punkt Mitternacht, wie ein rohes Ei! Was für ein Unglück!“ Lisi und
Dominic starrten mit offenem Mund zu ihm hinauf. „Ich flehe euch an!“,
jammerte der Geist. „Befreit mich von diesem scheußlichen Ding. Solche
Fallen lassen uns Geister zerplatzen! Nur dazu sind sie gemacht! Ich flehe
euch an, befreit mich und ich erfülle euch jeden Wunsch!“ |
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„Was meinst du? Er sieht nicht besonders
gefährlich aus, oder?“, flüsterte Dominic Lisi zu und bevor sie
antworten konnte, ging er schon auf den jammernden Geist zu. „Die ist
wirklich nicht für Geister gemacht“, sagte er, „das ist eine
stinknormale Mausefalle.“ Dann ließ er das Ding aufschnappen. „Endlich!“,
rief der Geist, schwoll auf die doppelte Größe an und schwebte in die
Höhe, bis er an die Dicke prallte. Dann schrumpfte er wieder etwas
zusammen und verbeugte sich so tief vor den beiden, dass er sich die Nase
an den eigenen Knien stieß. „Wünscht euch etwas, edle Kinder!“,
sagte er so laut, dass sämtliche Spinnen aus ihren Netzen fielen. Und das
taten Dominic und Lisi….. |
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Drei Tage später trafen sich die
„Weißen Geister“ in ihrem Geheimversteck. „Lasst sehen“, sagte
Hannes. “Was habt ihr mitgebracht?“ Lisi legte die Fotos von der
Turmuhr vor und Dominic stellte eine leere Coladose vor Hannes auf den
Boden. |
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„Mann, das ist wirklich unheimlich!“, sagte
Hannes und grinste. „Eine Coladose. Da schlottern einem die Knie. Tja,
ihr beiden, das wird wohl nicht reichen. Da ….“ Weiter kam er nicht.
Die Coladose fing an zu zischen wie ein Dampfkessel und heraus schwebte
der große Geist. „Der dort, edle Kinder?“, fragte er und zeigte auf
Hannes, der weiß wie ein Champignon wurde. „Genau, der“, antworteten
Lisi und Dominic. Da hielt der Geist Hannes seine bleiche Riesenhand hin.
„Zeit für deine Mutprobe, Winzling!“, rief er. „Los, steig in meine
hand.“ Aber Hannes machte drei Schritte zurück. „Ab sofort sind
Mutproben abgeschafft“, flüsterte er. „Gut zuhören!“, rief Lisi
und kletterte mit Dominic auf die Geisterhand. Hoch, hoch in die Luft hob
der Geist die Kinder, bis sie wie Käfer aussahen.
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Unser Dichterteam |
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![]() Illustrationen von: Robert Steinegger Jenny Ernst Stefan Pachner Saskia Osoinig |
![]() Hannes Kren
|
![]() Lisi Koubek |